Siezen, sechs!





Eigentlich handelt der folgende Text von einem Thema, mit dem ich mich nie beschäftigen wollte. Es ist an Banalität kaum zu überbieten. Da jedoch nicht nur ich, sondern auch die meisten meiner Freunde aktuell ihre ersten Gehversuche in der Welt des Big Business wagen, sei es bei KPMG, e.on oder wie in meinem Fall einer Großkanzlei, wird man zwangsläufig mit diesem Thema konfrontiert. Es geht um das „Sie“ und das „Du“. Es geht um Respekt, genauso wie um Borniertheit. Und den Amerikaner. Nichts geht ohne den Amerikaner!


Nun bin ich von Natur aus weder Waldemar Hartmann, der penetrant alles duzt, was ihm vor seinen (ehemaligen) Oberlippenunfall rennt, noch Helmut Schmidt, der selbst guten Freunden maximal das „hanseatische Du“ (Anrede mit Vorname und „Sie“) anbot. Erst recht kein Aloysius Paulus Maria van Gaal, der sich sogar von seinen eigenen Kindern siezen lässt.


Ich dachte bisher, die Sache sei einfach. Ältere Menschen werden gesiezt, gleichaltrige und jüngere geduzt. Wenn mir ein älterer Mensch das „Du“ anbot, nahm ich es an. So weit, so gut.


Falsch gedacht!


Es gibt Menschen (und von denen nicht wenige), die es scheinbar zu ihrer primären Lebensaufgabe gemacht haben darüber nachzudenken, wen sie duzen und wen nicht. Und vor allem, welche Effekt die jeweilige Anrede auf ihr Selbst- und Fremdbild hat. Als hinge es von der korrekten Ansprache ab, ob sich eine zwischenmenschliche Beziehung begründen lässt oder zum Scheitern verurteilt ist.


Die erste Begegnung mit diesem Phänomen hatte ich bereits in der Schule. Zu Beginn der Oberstufe hatten wir Schüler angeblich das Recht darauf gesiezt zu werden. Mir war das egal, war ich doch gerade erst 15 geworden. In ihrer an Hemdsärmeligkeit nicht zu überbietenden Art, machten einige Lehrer ein großes Thema daraus. Das führte dann zu Situationen, wie im Philosophiekurs, als genau ein Schüler darauf bestand gesiezt zu werden. Dem Diktat der Minderheit, schließlich hatte der Betreffende ja ein Recht darauf (und der gute Jurist weiß, dass wer ein Recht hat, dieses auf jeden Fall durchgesetzt werden muss!!!11!!1!), musste sich die Mehrheit beugen. Es mutete zunächst schon etwas seltsam an, dass uns die Frau, die in den beiden vorherigen Jahren unsere Klassenlehrerin war, auf einmal siezte. Die Aufregung darüber verflog allerdings nach einerminutedreißig, schließlich war in Bremen gerade eine Schippe umgefallen. Das war wichtiger.

Nach dieser ersten Episode fiel die Thematik für mich in einen mein ganzes Studium andauernden Winterschlaf.


Bis zum Frühjahr dieses Jahres. Während in der Kanzlei, in der ich zu arbeiten begann, ein unverkrampftes Betriebsklima herrscht, berichteten Freunde davon sich bei der Arbeit in einem wahren Minenfeld der Eitelkeiten die Ansprache betreffend zu bewegen. Wer sich da nicht alles auf den schlecht gebundenen Schlips getreten fühlte, wenn er geduzt wurde! 
Ich bin der Meinung, dass jemand, der seine Autorität an Position, Uniform oder Ansprache festmacht, keine hat. Ist ein bisschen so, wie mit denjenigen, die sich ständig in ihrer Ehre verletzt sehen. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Frage des „Du“ ist heutzutage keine reine Privatsache mehr, sondern zunehmend Teil der jeweiligen „corporate identity“. 
Und daran ist - wie grundsätzlich an allem – der Amerikaner Schuld! Es ist eine Eigenheit der englischen Sprache, dass die Personalpronomina der 2. Person Singular und Plural wortidentisch sind. Das Grundproblem des Deutschen, stellt sich daher im Englischen nicht. Allein anhand der Verwendung des Vornamens lässt sich erschließen, dass das „you“ in diesem Falle dem „Du“ entsprechen soll.

Das "Du" soll Kollegialität ausdrücken und ein Gefühl von Gleichwertigkeit erzeugen. In vielen amerikanisch geprägten Unternehmen duzen sich die Angestellten unabhängig von Alter und Position. Obwohl viele Deutsche das zumindest als ungewohnt wahrnehmen würden, ist daran, solange es konsequent durchgezogen wird, nichts zu beanstanden. Es ist allerdings ein Treppenwitz der Geschichte, dass gerade amerikanische Unternehmen so hierarchisch und arbeitsteilig strukturiert sind, wie nur möglich. Das drückt sich bereits in teils bizarr anmutenden Berufsbezeichnungen aus. Wer weiß schon was ein „Principal Consultant of Special Applications“ oder ein „Senior Vice Manager of Human Resource Development” ist?

Ebenso gilt: Widerspruch gegenüber dem Vorgesetzten während eines Meetings mit Geschäftspartnern? Unheard-of!

Denn das „Du“ darf nicht mit Gleichheit oder gar Freundschaft verwechselt werden. Es wird weiterhin mit harten Bandagen gekämpft. Somit entpuppt sich die nach außen demonstrierte Lockerheit als hohles Götzenbild der egalitären Unternehmenskultur.

Da bleibe ich lieber beim ehrlichen „Sie“ und baue darauf eine genuine Beziehung zu meinen Arbeitskollegen auf. Vielleicht führt das irgendwann sogar zum „Du“.


Die schönste Stilblüte das behandelte Thema betreffend, erzählte mir ein golfspielender Freund. Es gäbe in feineren Golfclubs das sogenannte „Tages-Du“. Es zieme sich nicht sich auf dem Golfplatz zu siezen, befänden die Hochwohlgeborenen. Um jedoch den gebührenden Abstand zu wahren, den die honorigen Herren als ihr Privileg ansehen, biete man dem Flight-Partner das Tages-Du an, dass sich ausschließlich auf die folgenden 18 Loch erstrecke und beim Aperol Sprizz (oder schlimmer) auf der Terrasse des Clubhauses ende.


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