Die Buffet-Mentalität
Was ist Ihr Lieblingsessen? Italienisch? Griechisch oder doch gut bürgerlich? Ein nicht kleiner Teil der deutschen Bevölkerung
würde diese Frage wahrscheinlich mit „All-you-can-eat“ beantworten, als
sei das maßlose Vollstopfen an einem Buffet eine Art von Küchenspezialität.
In Zeiten in denen man beinahe täglich mit
Lebensmittelskandalen konfrontiert wird und einem Allergiker, Veganer und
besorgte Ökotrophologen die Mahlzeiten verderben, wirken Familien die
sich Sonntags zu Flatrate-Preisen überfressen beinahe rebellisch und
reaktionär. Sind sie aber nicht, sondern eher das Spiegelbild einer sich immer
unreflektierter und schamloser verhaltenden deutschen Gesellschaft.
Die Buffet-Mentalität, die Alt und Jung vor
dampfenden Essensbehältern vereint, ist die Akne auf der deutschen Seele. Sie
offenbart so viele der schlechten Eigenschaften, die unser Land in den letzten
Jahren immer näher an das kulturelle Negativ des amerikanischen Vorbildes
gebracht haben. Ein erstes Indiz ist bereits der Anglizismus der für diese
Essen-gewordene Form der Maßlosigkeit verwendet wird. Oder haben Sie schon mal
ein „Alles was du fressen kannst“-Buffet gesehen?
Es ist Sonntag. Geiz, Gier und ein extrem niedriger
Qualitätsanspruch haben die ganze Familie mit ihren Tellern ans Buffet gebracht.
Ein Frühstück gab es aus taktischen Gründen nicht. Getrunken wird nur auf der Toilette aus mitgebrachten Trinkpäckchen. Wie die großen Feldherren auf ihrem Russland-Feldzug ackert sich die Sippe von
links nach rechts durch die Vorspeisen in die Hauptgänge. Ohne Rücksicht auf
Verluste wird eine Speise nach der anderen in die schon vollen Bäuche gestopft.
Es muss sich lohnen. Sättigungsbeilagen sind die Panzerblockaden des Buffets und werden geschickt umfahren. „Wir
sind nicht so weit gekommen um jetzt aufzugeben“, brüllt der Vater sein sich schon
erbrechendes Kind an. Erste Verluste werden sichtbar. Gegen halb zwei sieht das
Mittags-Buffet aus wie ein Schützengraben in Verdun. Krieg ist nicht schön und
Buffet ist Krieg. Geiz, Gier und der extrem niedrige Qualitätsanspruch hat sie bis hier hin gebracht.. 7,99€ für Erwachsene. 4,99€ für Kinder unter 14 Jahren. Sie
sind hier wegen der wertvollen Rohstoffe: Rindfleisch, Garnelen und
Hackbällchen. Das Kilo kostet im Supermarkt 7,99€. Also muss, wer gewinnen will, mindestens ein Kilo essen. Danach kommt der Return on Investment. Amortisation ist oberste Buffet-Raison. Doch
bei der Belagerung des Desserttisches schwinden die letzten Kräfte. Die
Familie gibt auf. Es gibt nur einen Sieger - den Anbieter des Buffets. Unter Magenkrämpfen und Übelkeit fühlen sich trotzdem beide Seiten wie Gewinner.
Diese Buffet-Mentalität lässt sich aber nicht nur
beim Sonntagsbrunch im Landgasthof oder beim mongolischen Grill-Buffet
beobachten... Moment. Halt. Stopp.
Mongolisches Grillbuffet? Liegt die Mongolei nicht irgendwo zwischen
Russland und China, ist zu großen Teilen von der sechstgrößten Wüste der Welt
bedeckt und wird von Nomaden bewohnt? Wie passt das mit
Grillbuffets und Zutaten wie Krokodil-, Straußen- oder Rinderfleisch in
süß-saurer Soße zusammen? Bekommt man in so einer mongolischen Jurte nicht eher
Airag, Öröm, Aaruul und Boortsog vorgesetzt? Das meiste davon wird aus vergorener Stutenmilch gemacht. Wer würde so etwas freiwillig in
rauen Mengen essen? Und wie passt All-you-can-eat, der Inbegriff von Überfluss, mit der sonst kärglichen Mongolei zusammen?
Egal, zurück zum Thema: die Buffet-Mentalität setzt
sich auch jenseits der Restaurants an den Ausfallstraßen in den Köpfen der
Leute fort. Wer schon mal eine Party geschmissen und eine Umlage für Getränke
organisiert hat, wird festgestellt haben, dass es immer ein paar Personen gibt,
die ganz besonders darauf achten möglichst viel für ihr Geld zu bekommen. Das
sind dann meistens die, die mit einem 5€-Grinsen nach 0 Uhr vom Balkon kotzen.
Bleiben wir bei den Getränken. Eine Kiste Billigbier kostet im Getränkemarkt
teilweise nur noch 5€. Die nächste Preisstufe bilden die Kisten der
Großbrauereien, die im Angebot weniger als 10€ kosten. Von beiden bekommt man
fürchterliche Bauch- und Kopfschmerzen, einfach weil sie minderwertig
produziert wurden. Keiner gibt die 15-17€ für eine Kiste qualitativ
hochwertigeren Bieres aus, weil man in Volumen gerechnet weniger für sein Geld
bekommt.
Woher kommt diese Gier? Warum sind gerade die
Deutschen so sehr darauf fixiert ihren eigenen Vorteil (z.T. zum Nachteil anderer) zu maximieren? Wie kam es dazu, dass sich Deutschland beispielsweise in der
griechischen Schuldenkrise nicht damit abfinden konnte ein schlechtes Investment gemacht zu haben? Stattdessen haben sich Experten die Köpfe darüber zerbrochen, wie man das (selbstverschuldet) verarmte Land bis auf die letzten Drachmen abfrühstücken kann. Wieso war es so wichtig einen Weg zu finden, wie die Griechen ihre Schulden, am besten mit Zinsen, wieder
zurückzahlen können, während die ganze Nation zerstört am Boden lag?
Die Vermutung liegt nahe, diese Mentalität könnte was
mit dem 2. Weltkrieg zu tun haben. Der deutsche Mythos, der noch strahlender
und heroischer ist als die Legenden von Sigfried und Hermann, ist der einer
Nation, die aus den Trümmern des Krieges alles wieder aufgebaut hat und zu
einer der reichsten Nationen der Welt wurde. Auferstanden aus Ruinen... Moment,
falsche Platte. Was man sich so hart erarbeitet hat, gibt man ungerne wieder
ab. Lebensmittel gehören dazu. Die teilweise ausgebombte
Stadtbevölkerung, die aufs Land ausquartiert wurde, sah sich nicht selten
gezwungen die wenigen geretteten Habseligkeiten bei den Bauern gegen Essen
einzutauschen. In diesem Tausch nahmen natürlich beide Seiten so viel sie
kriegen konnten, gerade weil der Tisch nicht reich gedeckt war. Es muss schwierig gewesen sein sich mit so einer Einstellung
dann an den Überfluss der folgenden Jahrzehnte zu gewöhnen. Dass der Marshallplan und das Wohlwollen der Siegermächte Eckpfeiler des deutschen Wirtschaftswunders waren, wird im deutschen Mythos geflissentlich übersehen. Trümmerfrauen und deutsche Tugend verkaufen sich besser.
Meine Mutter ist kurz nach dem Krieg geboren.
Das Familienmotto lautete „Essen ist das Haupt“. Und Essen war bestimmt in den
ersten Jahren nach dem Krieg nicht immer im Überfluss vorhanden. Aber durch
Wirtschaftswunder und Albrecht-Brüder musste schon bald keiner mehr hungern. Aber die Mentalität hat sich dadurch nicht geändert. So
kommt es, dass noch heute der Kühlschrank meiner Mutter immer randvoll ist. Die
Vorratskammer könnte leicht eine ganze syrische Familie über den Winter
bringen. Zusätzlich zu der Tiefkühleinheit in der Küche steht im Keller zur
Sicherheit noch ein Gefrierschrank
(sic!) mit eingefrorenen Speisen. Sie wissen schon, falls mal die Nationalelf nebst Trainerstab
und Funktionären unangekündigt zum Essen vorbeikommt.
Vielleicht ist es aber auch die völlige
Selbstverständlichkeit in Deutschland alles mit einem Preisschild zu versehen,
die viele dazu bringt sich die Taschen so richtig vollzustopfen, wenn es mal
etwas umsonst gibt. Wer in deutschen Städten oder an Raststätten mal auf die
Toilette muss, wird dafür meistens abkassiert. Das gleiche gilt an Bahnhofstoiletten (als sei das Bahnfahren noch nicht teuer genug) oder in manchen Fällen die Toiletten von Bars und Restaurants. Auch ein Glas Leitungswasser, was in anderen Ländern üblicherweise in Bars und Restaurants frei auf dem Tisch steht, bekommt man in deutschen Gastronomiebetrieben allenfalls zähneknirschend überreicht.
Die deutsche Buffet-Mentalität zeigt zumindest eins:
der Michel ist der nahezu perfekte Homo oeconomicus. Er ist ein rationaler
Nutzenmaximierer, der seine Kosten stets gering hält. Nur am
All-you-can-eat-Buffet trifft er ganz unrationale Entscheidungen, wenn er seinen Grenznutzen mal wieder überschreitet.
TF
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