German Angst / Sapere aude!
Was ist Angst? Angst stellt einen Schutzmechanismus vor tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gefahrensituationen dar. Während es Ängste gibt , die durchaus begründet sind, stellen sich die meisten Ängste mit ein bisschen zeitlichem Abstand als unbegründet dar. Die Deutschen haben oft Angst. Nicht umsonst hat sich der Begriff German Angst sogar im anglo-amerikanischen Sprachraum durchgesetzt. Gegenwärtig wird das deutsche Volk seinem Ruf gerecht, scheint es doch zu einem beträchtlichen Teil aus sogenannten „besorgten Bürgern“ zu bestehen. Flüchtlinge und Terror, vielleicht gar terroristische Flüchtlinge lassen den deutschen Michel nachts zitternd ins Bett steigen. Daher scheint es an der Zeit ein Angst-Retrospektive zu erstellen. Was ist aus einst populären Ängsten, die den Untergang der Zivilisation zu bedeuten schienen, geworden?
Der Ivan
Schrecklich, der Ivan
Vierzig Jahre lang verlief der Eiserne Vorhang mitten durch Deutschland. Die geteilte Stadt Berlin bildete ein Brennglas des Kalten Krieges. Während in der Bundesrepublik das sogenannte Wirtschaftswunder seinen Lauf nahm, siechte der sowjetische Satellitenstaat DDR vor sich hin. Bei den werdenden Besitzstandswahrern des Westens, die sich das von ihrem sauer verdienten Geld finanzierte Eigenheim in den Speckgürtel einer beliebigen deutschen Stadt gestellt haben, wuchs mit jedem im Vorgarten sprießenden Krokus die Angst, dass der Russe kommt.
Die deutschen Kulturgüter Bier, Bratwurst und Benz würden durch Wodka, Borschtsch und Lada ersetzt. Der Lauf der Geschichte wollte es anders. Die Sowjetunion zerfiel, Deutschland wurde wiedervereinigt und bis auf ein paar Oligarchen, die sich in Baden-Baden liften lassen, lässt die russische Invasion bis heute auf sich warten.
Das Waldsterben
"Plötzlich aus des Waldes Duster brachen kampfhaft die Cherusker"
Der deutsche Wald, seit den Dichtern der Romantik der Sehnsuchtsort der Deutschen. Beeindruckend in Szene gesetzt durch Caspar David Friedrich. Hier schlug der zwar unzivilisierte, aber immerhin „deutsche“ Hermann den verweichlichten, des Lesens und Schreibens mächtigen Varus.
Dieser Mythos überdauerte das Kaiserreich, die Weimarer Republik und auch das dritte Reich. Aber nicht die Achtziger Jahre. Ausgerechnet das Jahrzehnt von Schulterpolstern, wild wuchernden Achselhaaren und Nena brachte die vor Kraft strotzende deutsche Eiche zu Fall. Das Waldsterben setzte ein, die Apokalypse drohte.
Doch dann wurden in der Industrie flächendeckend Filteranlagen eingesetzt, der Schadstoffaustoß allgemein reduziert und neue forstwirtschaftliche Konzepte entwickelt. Und siehe da, 2003 durfte ausgerechnet die Grüne Renate Künast, deren Partei auch durch das Waldsterben überhaupt Relevanz erlangte, dieses für beendet erklären.
Angst vor Lebensmitteln
„Du bist was du isst“ sagt ausgerechnet der Volksmund. „Besser nicht“ denkt man sich, wenn man die Inhaltsangabe der meisten industriell gefertigten Lebensmittel liest. Denn wenn dem so wäre, wären wir eine Ansammlung künstlicher Bestandteile ohne jeglichen Geschmack. Jedes Jahr aufs Neue wird vor dem Verzehr bestimmter Produkte gewarnt.
Mal ist es das Acrylamid in den Pommes, wenn man die Friteuse auf die Temperatur der Hochöfen von Isengard hochtreibt. Dann ist es Gluten, das sich seit sie erfunden wurden in Brot und Nudeln versteckt, nur um im Jahr 2014 die Darmschleimhäute der Republik zu vernichten. Tatsächlich gibt es die Krankheit Zöliakie. Diese tritt in Deutschland allerdings nur bei durchschnittlich jedem 500. Menschen auf. Das überquillende Angebot von glutenfreien Lebensmitteln, die in Supermärkten rein zufällig immer neben den Bio-Produkten angepriesen werden, wird dadurch nicht gerechtfertigt.
Im letzten Jahr war es soweit: des Deutschen zweitliebstes Kind nach dem Bier, die Wurst, geriet in Verruf. Krebserregend sollte sie sein, behauptete die WHO. Ruderte kurz darauf aber zurück, indem sie mitteilte, dass sie lediglich zum Verzehr einer geringeren Menge Fleisch, als sie durchschnittlich in Industrienationen zu sich genommen wird, rät.
Vor wenigen Wochen erwischte es schließlich auch das bereits angesprochene Bier, Eckdatum deutscher Brauchtumspflege. Das Pestizid Glyphosat wurde in Deutschlands beliebtesten Bieren gefunden. Ausgerechnet im 500. Jahr des Bestehens des Reinheitsgebots. Dass man täglich 1000 Liter Bier trinken müsste, um gesundheitliche Schäden zu erleiden, hinderte die Medienlandschaft nicht daran auf den Panikzug aufzuspringen. Der wahre Skandal, nämlich die Umgehung des Reinheitsgebots durch die Verwendung von Hopfenpallets und das nachträgliche Ausfiltern von Gärhilfen, sowie die geschmackliche Degenration der meistverkauften Biersorten, war hingegen kein Thema.
Diese Lebensmittelängste stehen beispielhaft für das mittlerweile gestörte Verhältnis der Deutschen zu ihren Lebensmitteln. Alles ist potenziell gefährlich. Doch schon der alte Paracelsus wusste: die Dosis macht das Gift.
Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim
Die Liste der Ängste ließe sich nahezu endlos fortführen. Von der Hysterie um die Feinstaubbelastung über die Panik vor Elektrosmog ausstrahlenden Smartphones, die unsere Gehirne weichmachen, zur Schweine-, Vogel- oder Salamandergrippe. All diese Ängste, so sehr sie für einen Sommer die öffentliche Meinung prägten, wurden entweder durch kluge Gegenmaßnahmen erfolgreich bekämpft, waren wissenschaftlich nicht zu beweisen oder wurden überporportional aufgebauscht.
Selbst die Angst vor islamistisch motivierten Terroranschlägen in Deutschland scheint sich bisher zumindest in ihrem Ausmaß nicht zu rechtfertigen, steht die Opferzahl meines Wissens immer noch bei null. Natürlich zeigen die Terroranschläge in Paris oder Madrid, dass es ein gewisses Risiko gibt, aber solange die Zahlen der vereitelten Anschläge durch den BND und das BKA nicht veröffentlich sind, sei es aus ermittlungstaktischen Gründen oder weil „ein Teil der Antworten verunsichern würde“ (Thomas de Maizière), weigere ich mich meine Lebensführung in beschneidender Art und Weise zu verändern. Wir reden hier immerhin über Behörden, die im Rahmen der sogenannten „Ausspähaffäre“ eine erbärmliche Figur abgegeben haben.
Der ängstliche Deutsche jedenfalls will maximale Sicherheit. Dafür ist er sogar bereit seine Freiheit aufzugeben. Es spricht für sich selbst, wenn sich sogar ein ehemaliger Bundesinnenminister, der zumindest auf dem Papier promovierter Jurist ist, vor laufenden Kameras zu der Aussage hinreißen lässt, dass „Sicherheit ein Supergrundrecht“ (Hans-Peter Friedrich) sei. Die Illusion von absoluter Sicherheit muss als solche benannt werden. Es erscheint zweifelhaft, dass die staatlichen Überwachungsmaßnahmen, die teils gefordert, teils umgesetzt werden, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Das ist die juristische Formulierung für „Habt ihr sie noch alle?“.
Den linken Intellektuellen wird immer vorgeworfen, dass sie das aus ihrer Sicht dumme Volk bevormunden wollen. Wenn nach den jüngsten Landtagswahlen Wähler in Interviews auf die Frage warum sie die AfD gewählt hätten, antworten, dass es die etablierten Parteien nicht geschafft hätten ihnen die Ängste zu nehmen, stellt sich doch die Frage, ob die Deutschen nicht genau das verdient haben. Allerdings ist dies nur das Herausstehlen vor der Verantwortung. Nimm dir die Ängste selbst! Informiere! Geh in ein Flüchtlingsheim und führe ein Gespräch mit einem Syrer!
Wer also glaubt, dass der „besorgte Bürger“ eine Reaktion auf die zu uns kommenden Flüchtlinge ist, liegt weit daneben. Das Land der Hasenfüße war Deutschland schon immer. Meist jedoch zu Unrecht, wie sich im Nachhinein herausstellte. Daher meine Bitte: bleibe gelassen und habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
LW
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