Dinge von Gestern, Dinge von Heute, Dinge von Morgen (12) - Deutscher Hip Hop

Dinge von Gestern: Deichkind

Der Vorwurf ein Künstler oder eine Band sei Kommerz geworden ist so alt wie die Musikindustrie. Spätestens nachdem die Mozartkugeln in den Kaffeehäusern im Regal standen, sagte auch der letzte Vertreter des Wiener Schmähs: „Na, der Wölfi Amadei ist auch so a Goschata g’worden. I koanns nimmer hörn.”

Während der Sell-out bei Mozart ganz unbeabsichtigt eine Begleiterscheinung seines grenzenlosen Talents war, biedert sich die Band Deichkind seit 2006 aggressiv dem Kommerz an. Seit „Aufstand im Schlaraffenland“ klingen die Titel ihrer Songs und Alben mehr nach dem Tourprogramm eines deutschen Stand-Up-Comedian, als nach Hip Hop. Songs wie “Leider Geil” oder “Arbeit nervt” sind so T-Shirt-Spruch-druckreif, dass man sie sich auch aus dem Mund von Atze Schröder oder als Facebook-Post von Mario Barth vorstellen kann. Jede Textzeile klingt wie ein Meme, dass ein etwas einfältiger Arbeitskollege einem bei Whatsapp schickt. Während man bei Songs wie “Komm Schon!” oder “Bon Voyage” in nostalgischen Erinnerung mit dem Kopf wippt, muss man bei “Remmidemmi” und “Bück dich hoch” unweigerlich an Horden spätpubertierender Abiturienten und Deutschlandfahnen-schwingende Mitdreißiger auf einer Schaumparty in Lloret de Mar denken.

Nicht nur musikalisch, sondern auch organisatorisch hat sich Deichkind für eine kommerziellere Nutzung ihrer Marke in den letzten Jahren verändert. Aus den frechen Rappern ist ein Festival-Show-Act geworden, der mit Regisseuren und primitiven Bühnenshows von der noch primitiveren Musik ablenkt. Die ständige Neubesetzung der Band, u.a. mit Legenden wie Ferris MC, zeigt wie austauschbar die Akteure in dem von Regisseuren erdachten Konzept sind. Zusätzlich lässt sich durch die Markenzeichen Dreieckshut und Müllsack ohnehin nicht mehr erkennen, wer da gerade auf einem Trampolin auf der Bühne rumspringt oder Sperrmüll mit dem Vorschlaghammer zertrümmert. Die eingeschlagene musikalische Stilrichtung der letzten Jahre passt gut zu der David Guettaisierung der Pop-Musik.

Sperrmüll oder Deichkindkonzert? Beides!

Schlecht ist das Konzept deswegen nicht. Vom Alki bis zum Wutbürger versteht jeder Deutsche Deichkinds Message: Mit Ulk und Non-sense gegen das System. Die meisten übersehen dabei jedoch, wie systematisch und skalierbar die Band dabei selbst geworden ist. Bei einem Blick in die Festivalkalender der letzten Jahre drängt sich der Eindruck auf, dass Deichkind schon längst ein Franchisesystem - ähnlich dem der Blue Man Group - aufgebaut haben muss, um all diese Auftritte zu bedienen. Machbar wäre das sicher schon, denn Sperrmüll, Neonfarben und Müllsäcke gibt es überall. Und ob nun Ferris oder Porky „Yippieh Yeah“ ins Mikro brüllen ist dem Promille-Publikum auch egal. Sell out ja, aber leider geil.

Kleiner Vorschlag von uns: nennt das nächste Album doch einfach „Niveau ist keine Handcreme“. Das lässt sich auch gut auf T-Shirts drucken.

Dinge von Heute: Beginner

Was für ein Schock. Am 31. Mai 2016 entschied das BVerfG im Fall Kraftwerk (nein liebe Kids, nicht Kraftklub) gegen Moses Pelham, in einem Grundsatz Urteil höchstinstanzlich, dass die Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung keinen Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigt. Whaaaaat??? MOSES PELHAM LEBT NOCH???

Einen ähnlichen Wow-Moment hatten viele Musikfans dann 3 Tage später, als sich die Beginner mit einer neuen Single zurück meldeten. Große Freude trifft auf große Erwartungen an das für August angekündigte Album.

Füchse sind eigentlich keine Rudeltiere, aber wenn der Reim fett ist schon


Anders als Pelham, waren die Beginner in den letzten Jahren allerdings ziemlich erfolgreich solo unterwegs. Eizi Eiz ging vielen Berufstätigen schon morgens um 6 auf den Sack, wenn er seinen völlig überspielten Song “Wir machen das klar” aus dem Radiowecker plärrte. Denyo schlich sich, von Radiostationen beinahe unbemerkt, mit seinem letzten Album immerhin bis auf Platz 16 der deutschen Albumcharts. Na gut, ob das im Jahr 2015 noch ein Erfolgsmerkmal ist, sei jetzt mal dahingestellt.

Mit ihrer neuen Single und dem angekündigten Album liegen die Beginner übrigens voll im Trend: eine Renessaince des deutschen Hip Hops. Auch Sami Deluxe kam mit einem neuen Album um die Ecke und Dendemann ist seit 2015 jede Woche mit frischen Texten beim Böhmermann.

What a time to be alive.

Dinge von Morgen: 

Und da wären wir auch schon beim Thema. Wir prophezeien auch direkt das neue Album von Dendemann, der sich hoffentlich von seinen Kollegen angesteckt fühlt. Schön wärs.

Dendes Video zu 3 1/2 Minuten ist unwesentlich lustiger, wenn man das Original von D'Angelo kennt.

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