Einige Gedanken zu der Lage der Nationen (29.06.2016)
Die Ereignisse überschlagen sich derzeit und von einem Sommerloch kann im Jahr 2016 überhaupt nicht die Rede sein. Aus diesem Grund fassen wir noch einmal kurz zusammen, was euch wegen der Fülle an Informationen auf eurem Facebook oder Twitter Feed ganz bestimmt nicht entgangen ist.
Großbritannien verlässt doch nicht die EU
Der kleine Tommy will doch noch nicht gehen.
Jeder weiß, dass bei einem Gewitter die Gefahr besteht von einem Blitz getroffen zu werden, aber wer rechnet schon wirklich damit von 100 Millionen Volt getoastet zu werden? Entsprechend verkatert zeigen sich die Briten in den Nachwehen des Brexit Referendums.
Nachdem jetzt alle ihrem Frust freien Lauf gelassen haben, muss so mancher Leave-Wähler feststellen, dass er wohl ein Tässchen Nationalismus zu viel gehabt.
Kein Wunder, denn was dieser Brexit überhaupt ist, für den sie da gestimmt haben, schienen einige erst nach der Wahl gegooglet zu haben.
Etwas informierter schien die jüngere Bevölkerung zu sein, denn diese stimmte mehrheitlich für den Verbleib - leider nur sind noch nicht längst alle wahlberechtigten Bürger dieser Alterskohorte zur Wahl gegangen. Ohne nun voreilige Folgerungen abzuleiten, liegt der Verdacht nahe, dass der demographische Wandel auch ein Nährboden für vergessen geglaubten Nationalismus ist (und die Generation Y immer noch zu blöd ist den Zusammenhang zwischen Wahlenthaltungen und einer gleichzeitigen Erstarkung politischen Extremismus zu erkennen).
Die britische Regierung hat bereits angekündigt die folgenden Schritte langsam folgen zu lassen, um die wirtschaftliche und sozialpolitische Katastrophe etwas aufzuschieben. Im Umkehrschluss heißt das Großbritannien wird wohl nicht allzu schnell einen Antrag auf Kündigung seines Europa-Abos stellen, denn am besten sollte sich ja nichts für das stolze Empire ändern. Höchstens diese lästigen Osteuropäer möchte man (möglichst gestern) loswerden und nach ansonsten alle Privilegien einer Mitgliedschaft weiter nutzen, während man Verpflichtungen und Verantwortung abgibt.
Schottland und Nord-Irland, die beide lieber Teil der EU bleiben würden, haben hingegen bereits angekündigt sich anlässlich des Wahlergebnisses vom Mutterland zu emanzipieren und sich in Europas offene Arme zu flüchten. Auch wenn diese Ankündigung eher eine romantische Vorstellung bleibt, signalisiert es die Gespaltenheit der Briten und offenbart künftige Konflikte.
Für England soll es scheinbar keine Chance geben als verlorener Sohn zurückzukehren, sollte die Regierung den Austritt beantragen.
Etwas Gutes gibt es doch noch am Brexit: das Thema TTIP sollte wohl vorerst vertagt werden.
Island ist Weltmeister
„Áfram Ísland“, brüllt in diesen Tagen jeder seinen Fernseher an. Was das heisst fragt sich kaum jemand. Egal. Die Fußball Europameisterschaft der Herren zeigt in diesen Tagen wieder den wahren Geist von Europa: Es ist nicht wichtig aus welchem Land du kommst, Hauptsache du spielst guten Fußball.
Nachdem jetzt die großen Unsympathen der Europameisterschaft das Turnier verlassen haben (Russland: Hooligans; England: Europahasser; Österreich: Rechtswähler) und auch einige sympatische Mannschaften (Nord-Irland: WILL GRIGG'S ON FIRE) fiebert beinahe ganz Fußball-Europa, nein die Welt für das 334.000 Einwohner Eiland im Atlantik.
Nachdem die Isländer den Engländern beim sportlichen Brexit halfen (sorry), spottete vor allem die Presse gegen die englische Nationalmannschaft. Nicht ohne dabei die fußballerische Leistung der Isländer verbal zu unterminieren.
Times: "Nach 959 Spielen war das die demütigendste Niederlage in Englands Geschichte – gegen ein Land von 330.000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt. England hat letzte Nacht aufgehört, ein Fußball-Team zu sein und ist nur noch eine Lachnummer. Das war hirntoter Fußball, voll von Individuen in Panik."
Völlig verkannt wurde dabei die große spielerische Leidenschaft der Isländer, mit der sie bisher jedem Gegner begegnet sind und sich souverän durchgesetzt haben. Von einem kleinen 330.000 Einwohner-Land, das von einem Zahnarzt trainiert wird, war zumindest nur in sofern etwas zu sehen, als das die komplette Mannschaft mit Stolz und Entschlossenheit auftrat, als sie gegen Nr 8, 10, 11 und 20 der Fifa-Weltrangliste angetreten ist.
Nun liegt es nahe zu behaupten, Island sei auch auf Grund des Außenseiterklischees zum Publikumsliebling aufgestiegen. Auch die Tatsache, das Island höchstens durch Walfang und unkontrollierte Vulkaneruptionen (von Vulkanen mit unaussprechlichen Namen) in den letzten Jahren negativ aufgefallen ist führt zur Popularität in diesem Turnier bei. Vor allem ist es aber die Art wie sie den Fußball spielen. Mit Liebe, körperbetont, leidenschaftlich und ohne Raffinesse. Bälle kommen auch mal nicht an, das Element der Überraschung ist stets präsent. Jeder Zweikampf ist ein Tanz auf der Rasierklinge – wird der Schiri pfeifen? Es ist eine für Laien am Fernseher sehr zugängliche Form des Spiels und eine für die Profis aus der Premier-League sehr herausfordernde.
Island made Football great again. Und das ganz ohne CR7-Trikots.
Alle sterben sie
Der demographische Wandel fordert nicht nur politische Opfer auf Kosten der Folgegeneration, sondern auch ganz reale. Die Helden unserer Kindheit sterben langsam aus. Mit Komissar Schimansky und Bud Spencer bzw. Götz George und Carlo Pedersoli sind in dieser Woche zwei echte Kultfiguren verstorben. Beide hatten für sich genommen mehr Testosteron auf den Bildschirm gebracht, als die Nationalmannschaften von Portugal und Spanien in der bisherigen Europameisterschaft zusammengenommen.
Die beiden Schauspieler reihen sich mit ihrem Tod in eine Liste von verstorbenen Ikonen ein, die in diesem Jahr trauriger Weise schon sehr lang geworden ist.
Einziger Trost: wir werden in den nächsten Wochen wahrscheinlich die ein oder andere Wiederholung eines Faust-auf-den-Kopf-Klassikers im Fernsehen sehen und dann gemütlich den Sonntag vor der Glotze auskatern können.
What a man.



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