Die Leiden der jungen Y-ter.
In den letzten Jahrzehnten
wurden von Soziologen Generationen, also Bevölkerungskohorten von 1-2
Jahrzehnten, zu Gruppen zusammen gefasst, denen man alberne Namen gegeben
hat, die den Charakter Letzterer beschreiben sollen. Auf die Baby-Boomer
Generation der 50er und 60er Jahre folgte von 1965 bis 1980 die
geburtenschwache Generation X. Auf die folgte wiederum die von Florian Illies
als Generation Golf bezeichneten 1970er und 80er Jahrgänge. Für die Generation
die zwischen den späten 80er und vor den 00er Jahren geboren wurden gibt es
gleich mehrere Bezeichnungen: Generation Y, Millenials oder Digital Natives.
Eins haben alle gemeinsam:
wirklich in den Fokus der Soziologie rücken sie immer dann, wenn die jungen
Erwachsenen langsam in das Berufsleben einsteigen. Es wird versucht zu
ermitteln wie sich die äußeren Einflüsse, die auf die adoleszenten Wesen
eingewirkt haben sich auf dem Arbeitsmarkt auswirken werden.
Als ich zum Ende des Jahres
1989 geboren wurde waren die Geburtenraten in Deutschland alarmierend niedrig
und sie sollten in den Folgejahren auch noch weitersinken.
Als ich Mitte der 90er Jahre eingeschult wurde, hatten sich meine Eltern, die sich entgegen dem Trend
einfach mal 5 Kinder zugelegt haben (anstatt der damals üblichen 1,45), langsam
von dem finanziellen Super-GAU erholt, den 5 Kinder so hervorrufen können.
Zumindest ist dies mein Eindruck aus der Perspektive des Nachzüglers. Denn im
Vergleich zu meinen älteren Schwestern, fühlte ich mich mit dem Fortschreiten
der Zeit materiell privilegierter als sie. Dieser Eindruck könnte aber auch
durch die parallele Zunahme des Materialismus entstanden sein. Aber dazu
später.
Auszug aus einem Tadel, den ich mit 13 bekommen habe.
Zum Anfang der unsäglichen
00er Jahre besuchte ich ein Gymnasium und langsam wurde meinen Mitschülern und
mir klar, dass irgendwann einmal die ökonomische Last der Bundesrepublik auf unserer
Generation lasten würde. In den darauf folgenden Jahren steckte Deutschland ständig
in Rekordschulden, der demographische Wandel war das Angstwort mit dem man
kleine Kinder erschreckte und 2 mal die Woche drohte uns der SoWi-Lehrer damit, dass
wir alle mal seine Rente zahlen müssten und - weil wir so wenige sind - bis 75
arbeiten werden. Einziger Lichtblick in diesen Jahren war, dass aufgrund der
niedrigen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt (s. weiter fallende Geburtenraten)
jeder von uns bis zu seinem 75. Lebensjahr einen Job haben würde. Außerdem was
sollte für mich schon schief gehen? Ich hatte den Kurs Richtung höheren
Bildungsweg eingeschlagen. Das ich nach meinem Abitur studieren würde, die
Loser hinter mir lassen und mir nach dem Studium Arbeitgeber ungefragt Angebote
zuschicken würden war klar. Im Kampf um die wenigen gut gebildeten in diesen
inzwischen auf 1,38 Kinder pro Frau geschrumpften Jahrgängen würde man sich
schon um mich streiten. Dazu kam das Zentral-Abitur, das mir trotz meines
minimalen Lernaufwands im Familien-internen Abinoten-Ranking einen Spitzenplatz
bescherte. Suck it!
Als ich im Jahr 2009 endlich
mein Abitur machte und mich an der Uni einschrieb sah alles sonnig aus im
westfälischen Münster. Ohne irgendeine Ahnung was folgen würde übersah ich wie
zeitgleich über Kleinmordor die
Dunkelheit herein brach: doppelte Abiturjahrgänge! Der fortschreitende Trend entging
mir auch als er sich im Jahr 2010 nach Hamburg und 2011 in die beiden großen
Bundesländer Niedersachsen und Bayern ausweitete. Im Jahr 2013 spürte ich (nach
einem aus heutiger Sicht überheblichem Studiengangwechsel) wie sich in NRW die
Stimmung änderte. Auch im bevölkerungsreichsten Bundesland der Bundesrepublik
Deutschland stürmten nun doppelt so viele Studenten in die Universitäten. Mit
ihren unmenschlich guten Noten weit jenseits der 2,0 Marke zogen die durch
Casting-Shows und Heidi Klum zu Fleiß und Gehorsam konditionierten
Mit-Neunziger Jahrgänge in die beliebten Universitätsstädte. Dort sorgten sie dafür,
dass selbst so uncoole Fächer wie VWL inzwischen einen 1-Komma N/C haben. Meine
Mutter, die bis 2009 noch an vorderster Front mit der Kreide an der Tafel
gestanden hatte, beschrieb diese Jahrgänge immer sehr treffend als ‚brav’.
Angepasst, gefällig und einfach nur lieb. Ob Materia bei der Textzeile „Keiner hat mehr Bock auf Kiffen, Saufen, Feiern“ an diese Leute dachte?
In der Uni merkt man: schlecht
bezahlte Praktikumsplätze sind tierisch umkämpft, was sich insbesondere in den
Stellenausschreibungen der angesagten Arbeitgeber wiederspiegelt. Selbst von Studenten
wird heute erwartet neben überdurchschnittlichen Noten und außeruniversitärem
Engagement einschlägige Erfahrungen (oder Expertise) durch entsprechende Praktika oder
Werkstudententätigkeiten mitzubringen. Hä? Schon während des Studiums hatte
sich durch solche Jobbeschreibungen auch bei mir langsam die Panik breit gemacht.
Nach einem etwas langsamen Einstieg in mein akademisches Leben, bei dem die
Betonung eher auf ‚Leben’ lag, stieg zum Ende des Studiums zwangsweise der Leistungsdruck.
Die Semester unter mir schienen diesen Leistungsdruck auch schon zu spüren.
Immerhin traf man auch noch zur späterer Stunde fleißige Erstsemester im
rechtswissenschaftlichen Seminar an, die bis zum Erbrechen auswendig lernten,
anstatt sich mal ordentlich einen reinzustellen.
Rätsel: in welchem Zusammenhang steht dieses Bild zu dem obigen Absatz?
Meine Hoffnungen, dass wir
als geburtenschwache Jahrgänge gefragte Arbeitskräfte sein würden, haben sich
inzwischen durch Bildungsreformen, das Misstrauen der Arbeitgeber und meine
eigene Faulheit zerstreut. Die Job- und Wohnungssuche gestaltet sich entsprechend als frustrierende Angelegenheit. Es reicht nicht gute Noten und
Praxiserfahrungen zu haben. Es müssen schon überdurchschnittliche Noten und
relevante Praxiserfahrungen sein. Ich frage mich wie viele der jetzigen
Arbeitgeber ihre Stellen so allwissend und perfekt ausgebildet angetreten
haben, wie es die Rhetorik heutiger Stellenanzeigen verlangt. Wer nicht von
Stunde Null seinen Werdegang komplett durchgeplant hat, wird sich wohl oder
übel bei den Entscheidungsträgern anbiedern müssen.
Es stellen sich für die
Generation Y die Fragen: sind Jobs eigentlich wirklich so knapp? Oder sind wir
Akademiker durch die Umstellung auf Bachelor/Master einfach nur hoffnungslos
unterqualifiziert? Vielleicht haben viele Arbeitgeber aber auch nur Vorurteile gegen das System, weil sie selber noch ein solides Diplom oder Staatsexamen
gemacht haben? Ist die Angst einen unpassenden Arbeitnehmer einzustellen so
groß? Oder ist es einfach nur sehr viel komfortabler für Arbeitgeber durch
unrealistisch hohe Erwartungen bei Absolventen Zukunftsangst zu nähren? Drehen
sie eventuell damit den Spieß um und erzeugen eine künstlich hohe Nachfrage auf
Bewerberseite, um sich später den fleißigsten und anpassungsfähigsten unter
ihnen auszusuchen?
Mein Jahrgang startet heute
ins Berufsleben. Die meisten meiner Freunde haben studiert und begehen nach der
unvermeidlichen Weltreise langsam ihre ersten Schritte im Berufsleben. Die
Euphorie ist mäßig. Viele sind frustriert, fallen nach ihren
Auslandsaufenthalten in ein Loch oder wissen nach dem Studium nicht so richtig
wohin mit sich. Dabei meckern wir auf hohem Niveau. Unsere Großeltern als
Nachkriegsgeneration haben im besten Fall unseren Eltern eine Menge Beton
vererbt. Unsere Eltern werden auch uns im besten Fall mehr als die
Couchgarnitur vererben. Die wenigsten der vielen Studenten oder Auszubildenden
die ich kenne versorgen sich finanziell komplett selbst oder beziehen BAföG.
Dazu kommt, dass wir als Deutsche in einem relativ Krisensicheren Land
aufgewachsen sind. Sämtliche Probleme und Ängste wurden künstlich geschaffen
oder in den Medien bis zur Hysterie aufgebauscht. Wir haben die beste Bildung
für lau erhalten. Unsere Generation hat jede Krise lässig überlebt. Trotz
flächendeckender Jugendarbeitslosigkeit in Europa, der Finanzkrise in 2008 und der
Panikmache um die Flüchtlinge, sitzen die Mitzwanziger in hippen Cafés und
Bars, trinken sauteuren Matcha-Tee und Gins mit albernen Namen und unnötig
komplizierten Tonics. Die Krise zieht an dieser hedonistisch wirkenden
Generation vorbei, als spiele all das keine Rolle. Bevor ich 2001 mein erstes
Nokia 5110 (für 150 DM) bekommen habe musste ich lange betteln. Jetzt laufen
wir alle mit einem Handy in der Tasche rum, das soviel kostet wie ein
gebrauchter Golf 2 im Jahr 2001. Ich auch. So schlimm geht es uns also gar
nicht.
Aber genau dieser Luxus
scheint auch Spannungen und Ängste aufzubauen. Wegen der zahlreichen Möglichkeiten,
der großen (finanziellen) Sicherheit und der fortschreitenden Mobilität und
Globalisierung, welche die Generation Y prägen, fällt es vielen schwer sich auf
etwas festzulegen. Sei es Job, Wohnort oder Lebensabschnittsgefährte. Das sehen
auch die Arbeitgeber, die folglich lieber ihre Suchkosten aufstocken, bevor sie jemanden
einstellen, der nach 2 Monaten wieder kündigen könnte. Von Unternehmensseite
könnte man in Deutschland fast den Eindruck bekommen, es werde versucht japanische
Verhältnisse zu etablieren: Arbeitnehmer die sich ihrem Unternehmen loyal und
treu zu lebenslangen Diensten verschreiben.
Die japanische Generation Y
hat darauf übrigens mit absoluter Arbeitsverweigerung reagiert, lebt vom Geld
der wohlhabenden Eltern und verbringt seine Zeit in bizarren Cafés oder von
Angst und Selbstzweifeln geplagt in virtuellen Welten.
TF
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