Einige Gedanken zu den Landtagswahlen
Liebe Leser,
als Tilman und ich am Donnerstag die "Woche des Pessimismus" ausriefen, hatten wir im Sinn durchaus ernste Themen zu behandeln, allerdings immer mit einem Augenzwinkern. Im gestrigen Text über die Generation Y klang es ja an: es geht uns gut. Unsere Ängste und Sorgen würde man in den sozialen Medien größtenteils mit dem Hashtag #firstworldproblems versehen.
Eigentlich sollten die weiteren Texte zur Themenwoche in den bisherigen Kanon aufgenommen werden. Ich wollte beispielsweise über saisonale Ängste schreiben. Vom "Waldsterben" über "Elektrosmog" zum "Glyphosat im Bier".
Dann allerdings kam der heutige Tag und insbesondere die Zeit ab 18 Uhr. Zynisch betrachtet könnte man die Wahlergebnisse wohl als thematische Klimax für pessimistische Texte sehen. Als die ersten Hochrechnungen der drei Landtagswahlen an die Öffentlichkeit gelangten, fiel wahrscheinlich nicht nur mir die Kinnlade in den Schoß. Vorbei war es mit den Bestrebungen einen ironischen Weltuntergangstext zu veröffentlichen. Zwar wird sich Deutschland nicht über Nacht "abschaffen", aber einen deutlichen Tiefschlag hat unsere demokratische Gesellschaft durch die Wahlerfolge der AfD erhalten. Doch hilft es nun weder in eine Schockstarre noch in blinde Wut im Hinblick auf einen leider beträchtlichen Teil des Landtagswahlvolkes zu verfallen. Natürlich erscheint es im Eifer des Gefechts verlockend den Vorschlag der Partei DIE PARTEI in die Tat umzusetzen, nämlich die Mauer wieder aufzubauen. Aber das ist natürlich Quatsch. Vielmehr ist Analyse angezeigt. Diese kann und will dieser Text nicht liefern. Aber zumindest meinen drängensten Gedanken will ich freien Lauf lassen und Fragen stellen.
Wie sollen wir, die von linksliberal bis mittekonservative reichende demokratische Gesellschaft, auf diese Wahlergebnisse reagieren, jetzt und in der mittelfristigen Zukunft?
Eins scheint klar: die Dimension dieses demagogisch-nationalistischen Phänomens wurde trotz mahnender Stimmen unterschätzt. Im Vorfeld der Wahl wurde zwar täglich prognostiziert, dass die AfD in alle drei Landtage einziehen dürfte. Dominierend waren allerdings eher AfD-Witze wie sie wöchentlich von Jan Böhmermann vorgelesen wurden. Die waren natürlich wirklich witzig, deutlich über 20% der Stimmen für die AfD in Sachsen-Anhalt sind jedoch nur eins: besorgniserregend.
Aber auch die deutlich zweistelligen Ergebnisse in den anderen beiden Ländern zeigen, dass der Rechtsruck kein alleiniges Problem des "rassistischen ungebildeten Ostens" ist, sondern ein gesamtdeutsches. Jede andere Sichtweise wäre eingebildet und apologetisch.
Soll man nun in einen Dialog treten oder sich kategorisch abgrenzen? Natürlich trägt die Art meiner Fragestellung bereits zu ihrer Beantwortung bei. Sich selbst auf ein bildungsbürgerliches Podest zu stellen und den arroganten Oberlehrer raushängen zu lassen ist zwar verführerisch, würde den rechten Demagogen aber nur in die Karten spielen. Diese setzen ja gerade auf ein "Wir gegen die"-Gefühl, indem den von den etablierten Parteien Enttäuschten suggeriert wird, dass nur die AfD "die Dinge beim Namen nennt" und die "Sorgen ernstnimmt".
Bleibt also der Dialog. Dieser gestaltet sich problematisch, da jedes vernünftig vorgebrachte Argument als Konstrukt der "Lügenpresse" diffarmiert wird. Wie soll man mit jemandem ins Gespräch kommen, der sich fortwährend auf die Meinungsfreiheit beruft, darunter jedoch versteht, dass man selbst jeden rassistischen, unreflektierten und wahrheitswidrigen Scheiß straffrei rausposaunen darf, aber jedweder Widerspruch eine Verletzung der eigenen Rechte darstellt? Leider reichen die geistigen Mittel der Schreihälse nicht dazu diese selbstaufgestellte Doppelmoral zu erkennen.
Dazu kommt die von Politikwissenschaftlern angeführte Erkenntnis, dass die AfD selbst ein programmatisches Nichts darstellt, das als Projektionsfläche für die vagen und irrationalen Ängste der Wähler dient. Bezeichnend ist doch, dass gerade im Osten, wo es prozentual die wenigsten Migranten gemessen an der Bevölkerungszahl gibt, die Angst vor diesen am größten ist. Diese selbst angenommene Opferrolle erzeugt eine unerträgliche Selbstgerechtigkeit und führt zum vollständigen Verschließen der Augen vor jeglicher Realität. Die Klassiker unter den geäußerten Ängsten, nämlich vor "Überfremdung" und "Wohlstandsverlust" zeigen exemplarisch wie einfach es sich die "besorgten Bürger" machen. Wer fürchtet, dass einem ein Asylsuchender aus einem Kriegsgebiet ohne Deutschkenntnisse die Arbeit wegnimmt, sollte sich bei dem Startvorsprung, den ihm das Aufwachsen in Deutschlands Bildungssystem gegeben hat, hinterfragen, ob er nicht selbst der Urheber seiner Probleme ist. Sich nun den Flüchtling als einzig verfügbaren Schwächeren zu nehmen, um seine eigene Frustration an ihm abzubauen, ist einfach nur erbärmlich.
Wie begegnet man dieser Irrationalität? Eins ist oberste Pflicht, nämlich sich nicht auf das Spielfeld der Wahnsinnigen zu begeben, denn dort haben diese Heimvorteil. Das heißt: keine Pauschalurteile, gemäßigte Polemik, keine Arroganz, sondern Besonnenheit. Das ist hart und das ist zum Kotzen, weil man sich in einen Kampf gegen Windmühlen begibt, bei dem einem selbst nur stumpfe Waffen zur Verfügung stehen. Vor allem, weil man trotzdem entschieden dafür einstehen muss, dass es Linien gibt, die nicht überschritten werden dürfen. Blanker Rassismus muss klar als solcher benannt und geächtet werden. Die Verpflichtung zu humanitärer Hilfe muss bedingungslos in die Schädel der herzlosen Egozentriker eingetrichtert werden. In diesen Bereichen darf es keine Kompromisse geben.
Bleibt zu hoffen, dass die demokratischen Parteien jetzt einen Schulterschluss versuchen und sich nicht in parteipolitischen Grabenkämpfen verzetteln. Gerade die CDU und ihr militanter bayerischer Arm müssen endlich aufhören mit rechtsaußen zu flirten. Als mahnendes Beispiel muss Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz dienen, dass die schlechte Kopie der rechten Positionen nur Misserfolg bringt. Da wählen die Idioten lieber das Original.
Wie wird sich das politische Klima Deutschlands entwickeln? Ich weiß es nicht. Klar ist nur, die Flüchtlingsthematik als Brennpunkt der aktuellen Debatte wird sich sowohl was den Zustrom neuer Asylsuchender, als auch deren Integration betrifft, nicht in Luft auflösen und eine Aufgabe für die kommenden Generationen sein. Hoffentlich fällt auch bei den ewig Gestrigen irgendwann der Groschen. Oder die Mark. War das schon wieder zu polemisch? Was weiß ich...
Auch wenn das hier Geschriebene weder neu, noch besonders ausgefallen ist, war es mir ein Bedürfnis diese Dinge aufzuschreiben.
LW


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