Dinge von gestern, Dinge von heute, Dinge von morgen (5)

Dinge von gestern: Blogs

Blogs schickten sich an die Welt der Infomation jedem auch als Akteur zugänglich zu machen und die Marktmacht der tradtionellen Medien herauszufordern. Tech-Blogger wie Robert Scoble oder Sport-Blogger wie Bill Simmons scharten eine riesige Leserschaft um sich. Doch in vielen Fällen wurden die talentierten Blogger schließlich von großen Unternehmen angeworben. Simmons zum Beispiel wurde Millionär bei ESPN und hat demnächst sogar eine eigene Sendung auf HBO. Die Chance des Blogs, die einfache Zugänglichkeit, war gleichzeitig Hauptgrund seines Niedergangs. Blogs schreibt inzwischen jeder Uni Absolvent, der sich zwischen Studium und Beruf in seiner Early-Midlife-Crisis im “öffentlichen” Raum selbstverwirklichen will. Die Welt wartet darauf, an meinem Leben teilzunehmen, indem sie mich auf Reisen begleitet oder mir nach dem Kochen auf den Teller gucken kann, denkt der Verfasser. Im Endeffekt nervt er damit allerdings ausschließlich seinen Freundeskreis zu Tode, den er bei Facebook beinahe täglich zum Lesen seiner Gedankenergüsse auffordert. Die digitale Gesellschaft ist weitergezogen. Also warum noch wertvolle Zeit verschwenden, wenn man seine einzigartigen Gedanken viel besser in Tweets, Vines und Facebook-Anteilnahmsbekundungen mit der Öffentlichkeit teilen kann. Liest denn überhaupt noch jemand Blogs? IRGENDWER???

Mein Kaffee, mein MacBook, mein Blog


Dinge von heute: Kohlefadenlampen

Die Kohlefadenlampe in Retro-Optik ist für die 2010er Jahre das, was die indirekte Beleuchtung mit Lichtschläuchen für das vorangegangene Jahrzehnt war: ein Muss für die Einrichtung von Cafés und Kneipen. Vom Babel in Münsters Hansaviertel zum FOX in der Münchener Maxvorstadt ziehen sie in Kombination mit rohen, unverputzten Wänden, den Möbeln aus entrümpelten Altbauwohnungen und Outdoor-Sitzgelegenheiten aus zurechtgesägten Europaletten ein Publikum magisch an, das auch im Winter seine Knöchel unter hochgekrempelten Hosenbeinen hervorblitzen lässt. Die Birnen geben ein warmes Licht ab und die feinen Glühdrahtspiralen bilden in ihrer Verspieltheit einen willkommenen Kontrast zum sie umgebenden Abbruchcharme. Wer möchte denn schon seinen, von einem Man-Bun-trangendem Hipster, in einer Konservendose kredenzten Moscow Mule auf einer Baustelle trinken? Die Kohlenfaden Niedrigvoltlampen sind die Anti-Bewegung einer europäischen Jugend, die sich mit Chai-Latte und veganen Cupcakes gegen die regulatorischen Fehlleistungen einer verfehlten Europapolitik auflehnt (Stichwort: Glühbirnenverbot).

München oder...

...Münster, hauptsache gut beleuchtet.


Dinge von morgen: Bargeldloses Bezahlen

Dies ist weniger ein prophetischer Blick in die Zukunft als ein verzweifelter Hilferuf. Der deutsche Puls der Zeit schlägt bradykard was die Möglichkeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs angeht. In Supermärkten heißt es oft: Kartenzahlung erst ab 5 oder 10 € Einkaufswert. Kreditkarten werden erst gar nicht angenommen. Wer nur Kaugummi kaufen möchte, aber keine Scheine oder Münzen in der Patte hat, ist aufgeschmissen. Die Gebühren seien so hoch, heißt es als Ausrede. Lächerlich. Nicht nur sind die Kosten einer Kartenzahlung verschwindend gering, in anderen Ländern werden die Kosten einfach auf den Produktpreis aufgeschlagen. Deswegen haben keine Massen an US-Amerikanern, Australiern oder Isländern Privatinsolvenz angemeldet. Auch haben keine Unternehmen wegen geplatzter Kreditkarten schließen müssen. Das wird auch in Deutschland nicht passieren, denn im Oktober letzten Jahres hat das Europäische Parlament die Zweite Zahlungsdiensterichtlinie verabschiedet, die die Gebühren bei bargeldlosem Zahlen deckelt.

Das wahre Problem: “Nur Bares ist Wahres” ist eines der beliebtesten Sprichworte in Deutschland. In der aktuellen Diskussion um die Einführung einer Obergrenze für Barzahlungen auf 5.000 € gibt es nachvollziehbare Gegenargumente, wie Belange des Datenschutzes. Diese werden allerdings in den seltensten Fällen in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt. Vielmehr wehrt sich der Deutsche mit Händen und Füßen dagegen seinen neuen Gebrauchten mit Heller und Pfennig oder die dazugehörigen Karbonteile mit Geldbündeln aus 10- und 20 Euro Scheinen bezahlen zu können. Ein weiterer Grund könnte sein, dass gerade der Volkssport "Steuernsparen" durch die Kartenzahlung erschwert wird. Gerade das Handwerk, die Gastronomie und der B2C-Handel haben deswegen eine starke Aversion gegen den elektronischen Zahlungsverkehr.



Anderes Beispiel: wer in Deutschland ein Taxi mit Karte bezahlen möchte, der lässt die an sich schon schlechte Laune des Taxifahrers ins Bodenlose sinken. Muss er doch erst das Kartenlesegerät anwerfen. Welch ein Umstand! Genauso verhält es sich in Clubs und Bars. Es nervt sowohl den betrunkenen Gast im Dunkeln bei wummernden Bässen seine Kohle zusammenzukratzen, als auch den unter Zeitdruck stehenden Barkeeper darauf zu warten. Dabei könnte es so einfach gehen, indem man die Geldkarte durch den Kartenleseschlitz zieht oder ein anderes einfaches Bezahlsystem nutzt, wie PayPass bzw. payWave. Aldi macht es vor. 

Viele Lebensvorgänge könnten deutlich beschleunigt werden. Der Hungrige könnte früher in seinen Burger beißen und der Feiernde könnte schneller bei seiner potentiellen Eroberung mit den ausgegebenen Drinks sein. Denn die Liebe fürs Bargeld sollte durch den Hass in Schlangen anzustehen mindestens aufgewogen werden.



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