Pflichtbewusstsein
Wir leben in einer Zeit des Wandels. Das ist zwar eine Plattitüde, stimmt aber trotzdem. Der technische Fortschritt schreitet unaufhaltsam voran und auch in der Gesellschaft gab es Paradigmenwechsel, die zuvor undenkbar schienen, auch wenn die Dinge in diesem Bereich ein wenig langsamer ins Rollen kommen. Die weitläufig akzeptierten Möglichkeiten sein Leben zu gestalten werden immer mehr. Beruflich dringen Frauen, wenn ihnen auch immer noch Steine in den Weg gelegt werden, in Männerdomänen ein und auch privat ist niemand mehr gezwungen sich 50 Jahren quälender Ehe zu ergeben, so er dies nicht wünscht.
Es gibt jedoch eine heilige Kuh, die nicht geschlachtet wird: die Erwartungshaltung an die Mitglieder der werktätigen Bevölkerung. Diese bleibt auf höchstem Niveau. Wer trotz körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit weniger als 40 Stunden (das absolute Minimum) arbeitet, dem wird mit Unverständnis und Ablehnung begegnet. Das schwäbische „Schaffe, schaffe, Häusle baue!“ wabert als gebetsmühlenartiges Mantra durch unsere Köpfe. Dabei sind Eigenheime Dinge von Gestern.
Außerdem gilt: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Aber nicht irgendeine Arbeit und vor allem kein beliebiges Arbeitspensum. Erst wer nach mindestens acht Stunden Maloche an der Stechuhr abstempelt, hat sich nach allgemeiner Ansicht das Feierabendbier verdient. Es ist nicht nur Legende, dass der Jung-Accountant, der um 21 Uhr nach Hause gehen möchte mit einem vorwurfsvollen „Wo willst du denn schon hin?“ zum sogenannten All-Nighter genötigt wird. Die Work-Life-Balance wird zwar großspurig propagiert und die dahingehenden Angebote in den Hochglanzbroschüren über die „Firmenphilosophie“ angepriesen, aber wer auf die Idee kommt ein solches Angebot anzunehmen, dem wird der Vorgesetzte mit hochgezogenen Augenbrauen begegnen. Kommen Sie nicht auf die Idee als junge Frau unter 30 schwanger zu werden, wenn sie Karriere machen wollen. Wenn doch, dann machen Sie sich darauf gefasst in ihrem Arbeitsumfeld markige Sprüche zu hören, die die Grenzen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nicht selten überschreiten. Und der Job wird bei nächster Gelegenheit ebenfalls weg sein. Männer, die beispielsweise ihren gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit wahrnehmen, gelten als Waschlappen, die bezahlten Sonderurlaub haben möchten. Auch Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit verkürzen wollen, müssen gute Argumente vorbringen, damit ihnen Akzeptanz entgegengebracht wird.
Was ein Schwachsinn!
Ein Bild. Drei Worte. Mehr nicht.
Doch warum reagieren die ach so toughen Business-Menschen so feindselig und herablassend auf die, die nicht bedingungslos das Götzenbild der Arbeit anbeten? Eine Antwort ist der Neid, vor allem auf ein glückliches Privatleben. Wen wundert das? Die Chance einen Partner kennenzulernen beschränkt sich mittlerweile allein auf „das Internet“. Von Elitepartner über Tinder bis hin zu Knuddels ist für jede Einkommensklasse ein Angebot dabei. Diese Beschränkung wird doch nicht daran liegen, dass junge Männer und Frauen ausgerechnet im Zeitalter der sozialen Medien jegliche Sozialkompetenz verlernt haben, sind ja trotz Studiums im Hamsterrad gerade die voll entfalteten Soft Skills unabdingbare Einstellungsvoraussetzung in der Industrie. Könnte etwa die totale Fokussierung auf das berufliche Fortkommen und der daraus folgende Mangel an Freizeit eine Ursache sein oder wäre diese Annahme lediglich sozialwissenschaftliche Kaffeesatzleserei? Wer es trotzdem schafft einen Partner zu finden und mit diesem obendrein glücklich zu sein, gilt als verdächtig.
Ein weiterer Grund dürfte die Frustration über die Ergebnisse des eigenen Karriereplans sein. Wer landet letztlich tatsächlich in seinem Traumjob? Entgegen des durch Marketingabteilungen kreierten Bildes dürfte die Quote der absolut Zufriedenen recht gering sein. Wer ganz oben mitspielen will, muss bis er dort angekommen ist vor allem verzichten und ertragen. Und wer einer der wenigen Auserwählten ist, die es tatsächlich dorthin schaffen, der lässt den ganzen aufgestauten Frust der frühen Arbeitsjahre an den nachrückenden Schwächeren ab. Der Kreis schließt sich. Unzufriedenheit allenthalben.
Eine gehörige Portion Unsicherheit spielt mit Sicherheit auch eine Rolle. Wer mit Scheuklappen die vorgezeichnete Karriereleiter hochzuklettern versucht, der verliert den Weitblick für das außerhalb dessen möglich ist. Die Leute haben weder die Zeit noch den Mut diese Möglichkeiten auch nur in Erwägung zu ziehen.
Karriereleitern sind wie Penisse: Oft kürzer als man denkt.
Hierzu eine kleine Anekdote aus dem Leben eines der Autoren. Dieser war auf einer Party eingeladen und begegnete einem aufstrebenden Jungjuristen. Dieser fragte, was der Autor im Moment mache. Daraufhin antwortete dieser er sei aktuell Privatier. Wie Privatier, fragte der Jungjurist, was mache der Autor denn den ganzen Tag. Er schlafe lange, dann Frühstück, Serien gucken, Freunde treffen, feiern, entgegnete der Autor. Aber er müsse doch Pläne haben, hakte der Jungjurist nach. Der Autor sagte, dass er sich bei der Orientierung Zeit lasse. Ihm gefiele sein jetziges Leben. Er wolle ihn doch auf den Arm nehmen, verzweifelte der Jungjurist und fragte was der Autor denn tatsächlich mache. Der Autor beharrte darauf er sei Privatier und das Gespräch war beendet. Watzlawick hätte seine helle Freude an dieser Kommunikation gehabt.
Der Wert von Arbeit soll in diesem Text nicht geringgeschätzt werden, schließlich dient Arbeit unzweifelhaft der Sinngebung des eigenen Lebens. Arbeit ist wichtig für das eigene Selbstwertgefühl und sorgt nicht zu guter Letzt für die Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Grundlage.
Doch was treibt so viele in Jobs, die das ganze Leben diktieren? Leben um zu arbeiten, statt arbeiten um zu leben. Wenn man die Betroffenen fragt erhält man selten eine Antwort. Vielmehr erscheint es so, dass über diese Frage noch nicht nachgedacht wurde. Es scheint vielmehr so als handelten die Meisten aus Pflichtbewusstsein. Ein herrlich archaisch anmutendes deutsches Wort. Da schwingt preußische Tradition mit.
Doch steckt überhaupt etwas hinter diesem Begriff? Zunächst müsste eine Pflicht bestehen. Nur wer verpflichtet? Der Staat tut es nicht, schließlich kann man auch von Hartz IV leben und die Zeit der gesellschaftsvertraglichen Modelle ist in der pluralistischen Moderne definitiv vorbei. Eine faktische Pflicht besteht also nicht. Vielmehr scheint es eine selbst angenommene Phantompflicht zu sein, der wir uns mehrheitlich unterwerfen. Das darf man gerne tun. Nur muss man sich bewusst sein dies freiwillig zu tun. Das sollte man sich stets vergegenwärtigen, so sehr man sich von seinem Umfeld unter Druck gesetzt fühlt. Daher sollte man die, die sich für einen anderen Lebensweg entscheiden, nicht aus einer selbst zugeschriebenen Position der moralischen Überlegenheit herblassend verurteilen. Das ist ungerechtfertigt und peinlich.
Niemandem soll durch diesen Text davon abgehalten werden beruflich nach dem Höchsten zu streben und keinem soll seine berufliche Stellung schlechtgeredet werden. Es ist mehr als legitim die Erfüllung wirtschaftlicher Ansprüche zum Lebensziel zu machen. Allein soll dieser Text die Anregung geben zu hinterfragen, ob das was gegenwärtig im Bereich der Arbeit gesellschaftliche Konvention zu sein scheint das einzig glücklich machende Konzept für die eigene Zukunft ist. Das Schöne ist: es gibt eine Wahl.
LW
LW
So einfach ist das.




0 Kommentare:
Post a Comment