Vorbilder

Wir schreiben hier viele kritische Texte, die sich mit dem Zeitgeist, der Gesellschaft und der deutschen Seele beschäftigen. Wir sagen euch jede Woche was wir für Dinge von gestern, heute oder morgen halten. Wir haben uns sogar mit Karriere, Fußball und Linguistik beschäftigt. Es wird Zeit einen Text über etwas Positives, ja vielleicht sogar Inspirierendes, zu schreiben. Ein Text über Vorbilder.

Ständig streben wir danach uns zu verbessern. Noch vor den großen Finanzkrisen der letzten Jahre war das Mantra dementsprechend: höher, schneller, reicher. Einfach mehr haben, mehr können, mehr besitzen. Inzwischen haben die Sharing-Economy und die Ernährungs- und Bewegungsselbstoptimierer-Trends diese archaischen Maxime abgelöst und durch "sportlicher, gesünder, bescheidener" ersetzt. Einfach mehr bewegen, besser essen, weniger besitzen. Der Komparativ bleibt.

Für die neuen Lebensweisen gibt es zahlreiche Vorbilder. Nico Richter zeigt uns wie wir uns mit seiner Paleo-Diät so gesund ernähren wie die Steinzeitmenschen - allerdings ohne ein brauchbares Kochrezept für Wollhaarmammuts zu liefern. Attila Hildmann empfiehlt seinen Anhängern eine vegane, Mammut-freie Ernährung und schwört auf  „vegan for fit“ und alle machen mit. Beide haben gemeinsam, dass sie aussehen wie ein Tchibo-Unterwäschemodel: jung, erfolgreich, sportlich und nicht so schön wie Marcus Schenkenberg. Männer mit realistischen Erwartungen wollen so sein wie sie. Frauen mit unrealistischen Erwartungen möchten Nico und Attila am liebsten ihren Müttern als neuen Schwiegersohn vorstellen.

So wirbt Attila Hildmann für sein Kochbuch


Jedes Vorbild ist etwas, macht etwas oder kann etwas was wir nicht sind, machen oder können. Deswegen sind sie Vorbilder, Personen nach denen man streben kann und die man im besten Fall nie erreicht, sondern übertrifft. Trotzdem suchen wir uns häufig Vorbilder die so weit von unserer Lebensrealität entfernt sind, dass wir gar nicht erst so richtig versuchen so zu sein wie sie, sondern eher davon träumen wie es wohl wäre. Wie wäre es wohl zum Beispiel so cool und reduziert zu sein Jonathan Ive, der nicht einmal Haare, Mimik oder eine zweite Lage Kleidung braucht um Souveränität und Erfolg auszustrahlen? Wie wäre es wohl eine so erfolgreiche Geschäftsfrau und Sängerin zu sein wie Beyoncé, die seltener als andere erfolgreiche Frauen auf ihr Aussehen oder ihren (ebenfalls erfolgreichen) Partner reduziert wird.

Aber Moment, wo ist dieser Text den jetzt positiv und inspirierend? Gerade die Vorbilder sind es doch, die in uns häufig unrealistische  Erwartungen an uns selbst und das Leben wecken. Vorbilder können einen ziemlich deprimieren und einschüchtern. Sie können uns zu ungesunden Extremen verführen. Kleine Mädchen hungern angeblich um so schlank zu sein wie ihre Instagram-Klickmillionär-Idole. Kleine Jungs seien, so heisst es,  sexuell total verroht und von Selbstzweifeln geplagt, weil sie sich den ganzen Tag Hochglanz-Sportfick-Pornos im Internet angucken. Unsere Vorbilder werden in der Werbung instrumentalisiert um uns Dinge zu verkaufen die wir nicht brauchen, wie z.B. Rasierer mit 6 Klingen. Dabei weiss doch jeder, dass ein sauber geshaveter Drei-Tage-Bart das einzige ist, „was die Miezen ans Gerät bringt“. Vorbilder stehen mit erhobenen, wedelnden Zeigefingern vor der Webcam oder in der Fußgängerzone und predigen von Hass und heiligem Krieg. 


Traurig aber wahr: auch dieser Vogel hier ist für manche ein Vorbild


Vorbilder verändern sich und manchmal wird aus dem einstigen Idol das absolute Gegenteil. In unserer Abi-Zeitung habe ich auf meiner Seite Hulk Hogan, Sebastian Ingrosso und Wendelin Wiedeking als Vorbilder angegeben. Muskeln, musikalisches Talent, Geld und Erfolg. Es dauerte keine Ewigkeit um zu realisieren, dass alle drei dieser Figuren ganz fürchterliche Vorbilder sind, wenn man sie sich im Gesamtbild anschaut. Es kann auch passieren, dass Personen die Vorbildsfunktion von heute auf morgen abgesprochen wird - was dann? Beispiel Max Kruse: erst verliert er ein Haufen Bargeld im Taxi, dann wird er auf seiner Geburtstagsfeier von BILD-Reporterinnen belästigt und muss im Anschluss miterleben, wie ein Video von seinem besten Stück in den sozialen Medien rumgereicht wird wie die Karaffe mit dem Messwein in der Osterandacht. Damit sich kleine Jungs kein Vorbild mehr an seinem Unglück nehmen können, hat Jogi Löw ihn aus der Nationalmannschaft geworfen und der VfL Wolfsburg drakonische Geldstrafen auferlegt. Das ehemalige Idol wird zu einem Mahnmal gegen eine unbekümmerte Lebensweise stilisiert.

Früher waren Vorbilder nicht immer die Stars, die Schönen und die Reichen. Früher wollte man noch so sein wie Mama oder Papa. Man wollte Feuerwehrmann, Polizist oder Tierärztin werden. Einmal im orangen Anzug hinten auf dem Trittbrett vom Müllabfuhrwagen mitfahren. Die Vorbilder waren realistischer und entsprechend hat man ihnen Fehler auch eher verziehen. Selbst unter den Prominenten hat man sich nicht die Superlative rausgesucht. Ich hätte mir als Kind nie ein Panini-Bild von Christiano Ronaldo in den Schrank geklebt - da hingen Lars Ricken und Oliver Bierhoff. Beide waren aus meiner Sicht nie ‘Larger than Life’ und auch ohne die Möglichkeit ihnen bei Twitter zu folgen oder mir ihr Luxusleben bei Instagram anzuschauen, fühlte ich mich ihnen näher, als ich es mich zu einem Weltstar wie Ronaldo oder Messi hätte tun können. Die Transparenz des vermeintlichen Privatleben der heutigen Stars und Idole durch ihre gemanagten Social Media Auftritte schafft eher Distanz als Nähe. 


Mal ehrlich: mit wem von den beiden hätten Sie sich als Kind eher vorstellen können einen Freundschaftsbecher zu teilen


Trotzdem verzerrt sich durch die Adoleszenz der Anspruch an unsere Vorbilder. Je näher man seinen alten Idolen rückt, je greifbarer die Stange des Müllabfuhrwagens wird, desto unrealistischer wird unser neues Vorbild. Die Generation Y,  will nicht mehr Feuerwehrmann, Polizist oder Tierarzt werden. Sie suchen nach der Multi-billion-dollar-start-up-Idee um sich bei den erfolgreichen Gründern wie Marc Zuckerberg oder Jack Dorsey einzureihen. Dabei müsste doch das Erwachsenwerden unsere Augen öffnen und sollte uns deutlich machen, wie unvorteilhaft es ist im Leben ständig zu glänzen. Die bunte Echse fällt im Urwald als erstes auf und wird von der Schlange gefressen. Der frühe Vogel fängt zwar den Wurm, aber warum können wir nicht einfach der späte Wurm sein? Mo’ money, mo’ problems. Daraus müsste doch konsequenterweise folgen: no money, no problems. Ist es nicht so, dass Superman die ganze Zeit die Welt rettet muss, dabei seine Identität verstecken muss und nichts als Undank erntet. Währenddessen hat Homer Simpson drei Kinder, eine sorgende Frau und kommt immer gut durchs Leben, obwohl er nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist und chronische Geldsorgen hat. 



Dazu eine Fallstudie: Ich habe mindestens 2-3 Freunde, die sich absolut um nichts Gedanken machen. Sie haben noch nie eine Steuererklärung abgegeben, noch nie eine Gehaltsverhandlung geführt. Man kann sagen sie kommen über die Runden Sie machen sich keine Gedanken darüber, wie sie ihre Situation verbessern könnten. Sie machen sich aber auch keine Gedanken darüber was ihre Situation verschlechtern könnte. So lange sie eine Wohnung, Freunde und ein regelmäßiges Einkommen haben sind sie glücklich. Ich höre diese Freunde nie von Vorbildern oder Idolen sprechen. Sie bewundern vielleicht einen Sänger, für seine Kunst, aber sie wollen nicht so sein wie er. Wenn ich hier über die Leiden der Generation Y schreibe, fühlen sie sich nicht angesprochen. Das Leben gibt ihnen was sie brauchen. 

Böse Leute würden solche Leute vielleicht auch schon mal als Loser bezeichnen. Oder undurchsichtig, weil sie nicht verstehen wie sie mit ihrer Sorglosigkeit unbescholten durchs Leben kommen. Aber genau das sorglose ist was ihnen das Leben erleichtert. Schufa-Eintrag? Ist ihnen egal. Und das beste ist: es ist sogar egal. Wer sich nicht um seine Zukunft kümmert, muss sich zumindest in Deutschland keine Sorgen machen. Das soziale Netz fängt jeden auf und ein Leben auf Basis der staatlichen Grundversorgung ist kein Leben am Existenzminimum. Wer sich um nichts kümmert, kann trotzdem Abends in seine Wohnung kommen, ein Bier aufmachen, den Fernseher anschalten und auf seine Weise glücklich sein.

TF


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