Die Sättigungsbeilage
„Waren Gemüse, Kartoffeln u.s.w. früher tatsächlich eine Sättigungsbeilage und oft gefährlich in der Nähe der Metamorphose zum Briefbeschwerer, so sind sie heute zum Zierrat verkommen.“ - Vincent Klink im Zeit Online Blog
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes - Guten Appetit.
Auf den Tellern der Deutschen herrscht zu fast jeder Mahlzeit eine heilige Dreifaltigkeit aus drei Nahrungskomponenten. In nicht-vegetarischen Haushalten nimmt das schöne Stück Fleisch die Rolle des „Vaters“, dem namensgebendem Element einer jeden Speise, ein. Die Rolle des „Sohnes“ übernimmt die Sättigungsbeilage, also Brot, Kartoffeln oder andere Gemüse- und Getreideerzeugnisse. Über allem schwebt der heilige Geist, die Soße. Keiner weiss so richtig was der heilige Geist ist, genauso wie meistens keiner so richtig weiss was in der Soße drin ist. Egal, ohne den heiligen Geist bzw. die Soße fehlt auf jeden Fall etwas.
Zu den Klassikern gehören Reis, Kartoffeln (inkl. Pommes) und Nudeln
Doch auch wenn es Mettbrötchen heisst und nicht Brötchen mit Mett oder Sauerbraten mit Klößchen und nicht Klößchen mit Sauerbraten, ohne die Sättigungsbeilage wären unsere Teller leer. Das Essen wäre unnahrhaft und die Soße müsste, ohne von Kartoffelbrei und Nudelstärke aufgetunkt zu werden, traurig und allein auf unseren Tellern verbleiben. Die Sättigungsbeilage verschafft uns also einen Zugang zu unserem Essen - genau wie (Achtung: Jahrhundertgleichnis) Jesus seinen Jüngern Zugang zu Gott verschaffte. Auf jeder Gabel mit Fleisch, bei jedem Bissen vom Mettbrötchen landet sie mit in unserem Mund. Obwohl sie stiefmütterlich behandelt wird, ist sie doch Grundlage unserer täglichen Ernährung. Sie tut so viel mehr als nur zu sättigen.
Doch trotz der phonetischen Schönheit des Wortes Sättigungsbeilage, ist es doch beinahe ein schmähender Begriff für etwas so substanzielles. Die als Beilage integrierten Nahrungsmittel haben es in der Regal nicht verdient nur wie eine Beilage behandelt zu werden. Beilagen sind die Getränkemarktbroschüren in der Tageszeitung oder die Zettel in der Aspirin-Packung, die höchstens aus Langeweile auf der Toilette gelesen werden. Entsprechend sind es auch die Sättigungsbeilagen, die von Diät-Fuzzis und Ernährungsgurus als erstes aus dem Speiseplan gestrichen werden, da sie es schließlich sind, die uns angeblich dick und träge machen. Low-carb und Trennkostdiäten sind ihre größten Feinde. Grünes Gemüse genießt in diesem Fall zwar noch einen Vertrauensvorschuss bei Ökotrophologen, kann sich aber nur schwer bei Kindern und in gewissen Bevölkerungsschichten etablieren.
Die degradierende Bezeichnung hat ebenfalls zur Folge, dass viele Köche der Sättigungsbeilage nur beiläufig Beachtung schenken, was zu kulinarischen Ausfällen wie trockenen Fertigspätzle, lieblosen Salzkartoffeln und der Tiefkühlkrokette geführt hat. Selbst in der Haut-Cuisine findet sich neben einem stundenlang mariniertem und sous-vide gekochtem Stück vom Lammkarree meist nur ein espumiertes Häufchen Kartoffelschaum, dass zur Adelung auf dem Sterneteller vielleicht ein paar Raspel schwarzen Trüffels abbekommen hat.
Dabei kann sie soviel mehr. Die Italiener haben ihr sogar einen ganzen Gang zwischen Antipasti und Primo Piatto gewidmet. In Gerichten wie Spaghetti Aglio e Olio spiegelt sich wieder wie viel Geschmack in einer Beilage unter der simplen Zugabe zweier kleiner Zutaten drinstecken kann. Auf einmal wird die Nudel zum Star eines Gerichtes, während sie von den Teutonen sonst eher beiläufig mit Soße und einem Stück Fleisch aufgegabelt wird und nur als Trägermaterial eines Geschmacksgebers im Mund verschwindet.
Es wird Zeit, dass die Sättigungsbeilage auch auf deutschen Tellern aus dem Schatten der Rinderroulade hervortritt und mehr Aufmerksamkeit bei der Zubereitung und ihrem Genuss bekommt. Heute Abend gibt es Kartoffelbrei mit Spinat! Und vielleicht ein paar Fischstäbchen als Garnitur.
Nächste Woche: Die stiefmütterliche Behandlung von Öl und Knoblauch in italienischen Nudelgerichten.
TF
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