Schichtsalat - Eine Gesellschaftskritik

Es ist immer das Gleiche. Man plant ein gemeinsames Essen mit Freunden, im Sommer einen Grillabend oder das Buffet für die WG Party. Während es bei mir im Kopf anfängt zu rattern, mit welcher Speise ich bei minimalem Arbeitsaufwand maximal beeindrucken kann, brüllen schon die ersten Teilnehmer:

„Ich bringe einen super leckeren Schichtsalat mit!“

Ein kalter Schauer fährt mir über den Rücken. Bilder von der Ernährungspyramide, die ich noch von der Rückseite der Cornflakespackung kenne erscheinen vor meinem inneren Auge. Schichtsalat ist offensichtlich der Versuch diese Ernährungspyramide in gleicher Reihenfolge in einer Salatschüssel nachzubauen. Nicht zur Veranschaulichung, sondern zum - nennen wir es - „Genuss“.

Das Grundrezept für den perfekten Schichtsalat

Schichtsalat ist für mich die Karstadtfiliale unter den Partysnacks. Man findet ungefähr alles darin, nur leider nichts was man so wirklich mag oder braucht. Doch im Gegensatz zu Karstadt wächst der Schichtsalat-Trend sehr erfolgreich. Schichtsalat ist längst zum Äquivalent der Käse-Lauch-Suppe im kalten Partybuffet avanciert. In seiner hässlichsten Form steht er dann als Tex-Mex Variante mit Dosenmais, Kidneybohnen, trockenem Hack und analogem Streukäse, anaerob abgedichtet unter einer Schicht von 2 Pfund haltbarer Sauersahne auf dem Tisch. Als namensgebendes Element stecken in diesem „Nacho Salat“ die mit reichlich Glutamat und Käsepulver gewürzten Nacho-Chips in der obersten Schicht. So etwas darf es in unserer heutigen Gesellschaft, die ständig mit dem erhobenen Ess-Finger wedelt, nicht geben. Der Schichtsalat versucht noch nicht einmal Bio, vegan, gluten- oder laktosefrei zu sein. Ganz im Gegenteil, er ist Inbegriff der Doppelmoral derjenigen, die sich ständig Gedanken über gesünderes Essen machen und sich dann beim Grillabend kellenweise die triefende Biomasse auf die Pappteller klatschen.

Reicht das schon zur Gesellschaftskritik? Nein. Aber weil wir die Überschrift lustig fanden, versuchen ich trotzdem noch den Bogen zu spannen:

Es ist nicht der Schichtsalat, der in der Kritik steht. Die Zutaten schichten sich nicht von selber auf. Es sind auch nicht die Leute die ihn zubereiten. Sie wollen sich einfach nur keine Mühe geben und kippen dann eben Zutaten, die in einem anderen Kontext so wenig mit Salat zu tun haben wie der Toast Hawaii mit der pazifischen Inselgruppe, zusammen und nennen das Produkt „Salat“. Noch weniger können wir die armen Seelen kritisieren, die das Endprodukt dann zwischen Gyros-Suppe und Erdbeer-Tiramisu verzehren. Partybuffets sind eben ein kleiner Markt und die Gesetze von Angebot und Nachfrage spielen spätestens nachdem das zweite 5 Liter Fässchen angezapft wurde keine Rolle mehr. Es wird gegessen was auf den Tisch kommt und das mit steigendem Alkoholkonsum eben auch in rauen Mengen.

Toast Hawaii, quasi die Ur-Form des Schichtsalats

Und das fasst auch schon am besten die Kritik an unserer Gesellschaft zusammen. Keiner ist so richtig Schuld an der kulturellen Armut der deutschen Küche. 
Wir gehen in den Supermarkt - und sei er noch so groß und gut sortiert - finden wir  dort nichts anderes als die Zutaten für verschiedene Schichtsalate. Wir haben kilometerlange Kühltheken, die gefüllt sind mit 650 verschiedenen Sorten Joghurt und 1569 verschiedenen Arten an Aufschnitt. Im Obst- und Gemüseregal ist die exotischste Frucht die knallharte Avocado, die in den letzten Jahren einen erstaunlichen Aufschwung erfahren hat. Ohne jetzt Beispiele aus sämtlichen Produktgruppen zu nennen: unsere Lebensmittelvielfalt in Deutschland breitet sich eher horizontal in unzählige Sorten von wenigen Arten aus. Es gibt 100 Sorten Pilsbier, aber nicht ein Porter. Das ist schade, denn einer der Vorzüge der Globalisierung ist es doch, dass der kulturelle Austausch, auch in Form von Lebensmitteln stark erleichtert wird. Wenn es möglich ist jährlich tausende von Tonnen an Bananen aus Süd- und Mittelamerika auf dem Seeweg nach Deutschland zu bringen, dann müsste es doch auch möglich sein Galanga, Thai-Auberginen, Lotus-Wurzel und Taro zu importieren. Das es geht, sieht man beispielsweise in Australien. Kaum ein Kontinent ist so abgeschieden und weit weg von allem anderen auf der Welt. Trotzdem findet man selbst im hintersten Outback besser sortierte Supermärkte als in Deutschland.

Aber lassen wir die Supermärkte nicht als einziges Beispiel stehen. Die gleiche dürftige Abwechslung spiegelt sich auch in der deutschen Gastronomie wieder. Klassiker sind die unvermeidlichen Griechen, Italiener, Türken, oder Chinesen an der Ecke. Alle Restaurantnationen ließen sich im Übrigen auch in einen pfiffigen Schichtsalat übersetzen (der bestünde dann wahlweise aus Gurken, Tomaten und Fetakäse; Tortelini, Schinkenwürfel und Streukäse; Zwiebeln, Grillfleisch und Joghurtsoße; oder Reis, Hähnchen und Bambussprossen).
Diese Restaurantklassiker sind meist einfallslos und schlecht. Sie haben so wenig mit der eigentlich Küche der Nation zu tun, dass in den seltensten Fällen heute noch ein Italiener beim Italiener in der Küche steht (das übernehmen häufig Tamilen), oder Griechen beim Griechen (Serben), oder Türken beim Türken (Kurden), oder Chinesen beim Chinesen (Vietnamesen). Wie sollte man beispielsweise auch die Vielfalt der chinesischen Küche auf einer Speisekarte abbilden? Jede Provinz in dem Milliarden Land hat seine ganz eigene Küche, mit verschiedenen Zubereitungsweisen und Zutaten. Gebratenen Reis oder Chop Suey mit „chinesischer Küche“ gleichzusetzen wäre in etwa so wie zu behaupten Käsespätzle mit Cheddar Schmelzkäse und panierten Onion Rings seien eine deutsche Nationalspeise.

Abbild der kulinarischen Vielfalt Chinas

Aber wie ändert man das? Ist es das Essen selber das sich ändern muss? Nein. Die Zutaten stehen theoretisch zur Zubereitung raffinierterer und abwechslungsreicherer Speisen zur Verfügung. Es sind auch nicht die Anbieter, Supermärkte und Restaurants, die sich ändern müssten. Schließlich bedienen sie ja nur eine Nachfrage und in einem Land mit so niedrigen Lebensmittel-Handelsmargen wie Deutschland will keiner einen Fehler begehen. Also sind es am Ende doch die Nachfrager, die Kunden, die Schichtsalatesser, denen wir die 180. Dönerbude im gleichen Viertel zu verdanken haben, die genau das gleiche anbietet wie ihre 179 Konkurrenten. "Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht." Wir sind zwar keine Agrarnation, aber wenn es ums Essen geht, leben in Deutschland doch mehr Landwirte als Entdecker.

Zum Schluss:  Die ekelhaftesten Schichtsalat-Rezepte aus dem Internet













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