Einige Gedanken zu Jan Böhmermann
Die derzeit heißeste gesellschaftliche
Debatte dreht sich nicht um das Dauerthema Flüchtlinge – die Zahl
der Asylsuchenden sinkt – sondern um ein „Gedicht“.
Dieses wurde von Jan Böhmermann vor
mittlerweile eineinhalb Wochen in seiner Sendung „Neo Magazin
Royale“ vorgelesen und befasste sich mit den Eigenschaften und
Verhaltensweisen des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Der
Titel lautete „Schmähkritik“.
Der Inhalt dürfte allgemein bekannt
sein. Mehr aber nicht, wenn man Medien egal welcher Spielart
konsumiert. Die Debatte um den Beitrag Böhmermanns hat viele
Dimensionen: eine politisch-diplomatische, eine moralische und eine
juristische.
Da der Autor weder Politikwissenschaft noch Philosophie
studiert hat, sondern Rechtswissenschaften, wendet er sich der
letztgenannten Facette zu. Schließlich ist diese spätestens seit
der Aufnahme von Ermittlungen durch die StA Mainz in den Fokus
gerückt. Seitdem kann man in jeder Zeitung einen Artikel darüber
lesen, ob sich Jan Böhmermann strafbar gemacht hat oder nicht. Die
abgedroschene Frage „Was darf Satire?“ wird allerorts bemüht.
Leider geht keiner dieser Artikel über bloße Mutmaßungen hinaus,
fehlt es den Journalisten an den notwendigen juristischen
Fachkenntnissen. Diese hantieren mit Begriffen wie „Meinungsfreiheit“
oder „Schmähkritik“ ohne diese ansatzweise mit Leben füllen zu
können. Problematisch daran ist, dass der Leser, der im Zweifelsfall
juristischer Laie ist, den Artikel nicht einordnen kann. Der
journalistische Informationsauftrag kann so nicht erfüllt werden. In
keiner Publikation hat der Autor bisher eine Definition des
juristischen Terminus „Schmähkritik“ gelesen. Zudem werden
strafrechtliche Tatbestände mit verfassungsrechtlichen Normen
vermischt.
Im Folgenden soll nun versucht werden die juristischen
Grundlagen grob darzustellen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit
zu erheben.
Die Rechtsgrundlagen:
1. Das Grundgesetz (GG)
Das GG ist – wie der Name schon sagt
– das Fundament der deutschen Rechtsordnung. Es bildet ein
Grundgerüst. Nicht mehr und nicht weniger. Bis auf ganz wenige
Ausnahmen kann der Bürger keine direkten Ansprüche aus dem GG
herleiten. Die Richtlinien die das GG vorgibt, werden in einfachen
Gesetzen ausgestaltet, die sich mit speziellen Lebenssachverhalten
befassen. Das nennt man Normenhierarchie. Beispiele für einfache
Gesetze sind das Strafgesetzbuch (StGB), das Bürgerliche Gesetzbuch
(BGB) aber auch „Freak-Gesetze“ wie das Eisenbahnkreuzungsgesetz.
Diese können den Bürger direkt betreffen. Doch über allem schwebt
das GG.
Im Bereich des GG in der „Causa
Böhmermann“ ist Art. 5 GG betroffen.
In Art. 5 Absatz 1 Grundgesetz (GG) ist
neben anderen die Meinungs- und die Pressefreiheit verankert.
Die Norm lautet:
"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."
Grundsätzlich darf man also sagen,
schreiben und zeigen was man will. Ebenso diese Informationen auch
aufnehmen. Der Staat darf nicht zensieren.
Diese Rechte werden jedoch nicht
schrankenlos gewährt, wie es juristisch heißt.
Art. 5 Abs. 2 GG lautet:
"Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."
Ein solches allgemeines Gesetz, das in
der hier behandelten Sache relevant ist, ist das StGB.
Das Prinzip ist im Grunde einfach: die
Freiheit des einen hört da auf, wo sie die Freiheit des anderen
nicht gerechtfertigt beschränkt. Konkret bedeutet das, dass die
Freiheit Jan Böhmermanns zu sagen was er möchte dort endet, wo
Persönlichkeitsrechte von Herrn Erdogan verletzt werden.
Problematisch ist dabei die
Grenzziehung. Schließlich hat jeder Mensch einen anderen
Wertekompass und eine andere Hemmschwelle, ab wann er sich beleidigt
fühlt. Für die Erstellung von objekiven Richtlinien, die für
Deutschland festlegen, was im Bereich der negativen Äußerungen
gegenüber einem anderen erlaubt ist, gibt es das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Hier kommt die berühmte „Schmähkritik“
ins Spiel. Da die Meinungs- und Informationsfreiheit elementarer
Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft ist (Juristen nennen
das sehr geschwollen „quasi-konstituierend für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung“), zieht das BVerfG sehr
weite Grenzen was zulässige Äußerungen betrifft. Schließlich
haben wir vor knapp 80 Jahren erlebt, was eine gleichgeschaltete
Presse bedeuten kann. Gerade im Bereich politischer Meinungen ist
daher sehr vieles zulässig. Die Grenze stellt die sogenannte
„Schmähkritik“ dar.
Deren Definition lautet:
„Eine Meinungsäußerung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ (BVerfGE 82, 272)
Die
Essenz ist, dass man einen anderen durchaus verbal hart attackieren
darf, solange ein Sachbezug gegeben ist. Wenn dieser fehlt, könnte
die Äußerung nicht von Art. 5 GG geschützt sein.
Soviel
zu den verfassungsrechtlichen Überlegungen zur Meinungsfreiheit.
Wenn
jemand sich außerhalb der zulässigen Grenzen äußert, wandert er
allerdings nicht aufgrund des GG in den Knast. Dafür gibt es
2.
Das StGB
Im
StGB gibt es einige Paragraphen, die sich mit der Strafbarkeit von
Äußerungen beschäftigen, so zum Beispiel §185 (Beleidigung), §186
(Üble Nachrede), § 187 (Verleumdung) oder auch §103 (Beleidigung
von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten). Diese normieren
Verhaltensweisen, die strafbar sind.
§185
StGB zum Beispiel lautet:
"Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Das
hilft erstmal nicht weiter, schließlich definiert es die Beleidung
nicht. Daher hat sich in der Rechtswissenschaft folgende Definition
durchgesetzt:
"Strafbar ist die Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung gegenüber dem Beleidigten oder Dritten"
Wenn
man danach geht, stellen die Äußerungen Böhmermanns, wie zum
Beispiel „Ziegenficker“ zweifellos eine Beleidigung dar. Das ist
auch soweit nicht umstritten. Verurteilt wird er deswegen aber noch
lange nicht, denn eine Beleidigung kann gerechtfertigt sein. Zum
Beispiel wenn man mit der Beleidigung berechtigte Interessen
wahrnimmt (§193 StGB). Das könnte im Fall Böhmermann die
Auseinandersetzung mit der Reaktion Herrn Erdogans auf den Beitrag
von extra3 sein. Es entsteht also ein Interessenkonflikt. Böhmermann
möchte Erdogan kritisieren, Erdogan fühlt sich dadurch beleidigt.
Um diesen Konflikt zu lösen, muss man abwägen. Dem aufmerksamen
Leser fällt die Parallele zu den verfassungsrechtlichen Überlegungen
unter 1. auf. Das ist kein Zufall. Denn wie beschrieben gibt das GG
den Rahmen vor, in dem sich die einfachen Gesetze bewegen dürfen.
Bei
der Anwendung von Strafnormen auf den Einzelfall im Strafprozess
fließen die ganzen oben genannten verfassungsrechltlichen
Überlegungen in die Entscheidung des Richters ein.
Der Einzelfall:
Für
den Fall Böhmermann gilt es nun die Frage zu klären, ob er die
Beleidigung Erdogans ausreichend kontextualisiert hat, sie also dazu
dient sich mit dem Demokratieverständnis Erdogans und auch mit der
Reaktion der deutschen Gesellschaft und Medienlandschaft auf die
Vorgänge der letzten Wochen auseinanderzusetzten oder ob die
Herabsetzung Erdogans im Mittelpunkt steht. Ersteres wäre eine erlaubte satirische Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlichen Thema, Letzteres wäre
Schmähkritik und sehr wahrscheinlich strafbar.
Der vorliegende Fall ist grenzwertig, beide Interpretationen erscheinen mit guter Argumentation vertretbar. Das ist oft die große Schwierigkeit.
Der vorliegende Fall ist grenzwertig, beide Interpretationen erscheinen mit guter Argumentation vertretbar. Das ist oft die große Schwierigkeit.
Mit
dem juristischen Rüstzeug, das dieser Artikel dem Leser mitgibt,
kann sich dieser nun selbst ein juristisches Urteil (Fragen der Diplomatie oder Moral sind eine andere Baustelle) erlauben. Der Autor wird sein
Urteil in diesem Text nicht fällen. Jedoch kann sich der Leser
dieses wahrscheinlich denken.
LW
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